Märkte & Unternehmen

Staatlich verordneter Umweltschutz

Chinas Chemieindustrie wird umweltfreundlicher, dabei spielen auch ökonomische Interessen eine Rolle

06.04.2021 - Chinas Chemieindustrie war in der Vergangenheit nicht für ihre Umweltfreundlichkeit bekannt. Im Gegenteil: Luft- und Wasserverschmutzung, Entsorgungsprobleme sowie Chemieunfälle und Explosionen prägen bis heute das Image der Industrie nicht nur im westlichen Ausland, sondern auch in China selbst.

Erste Initiativen zur Verbesserung der Situation waren eher Imagekampagnen als ernstgemeinte Anstrengungen. Aber seit etwa 2015 hat sich die Situation deutlich geändert, und der 14. Fünfjahresplan für den Zeitraum von 2021 bis 2025 wird diese Entwicklung fortsetzen.

Was sind die Gründe für diesen Trend, was die Kernelemente der zukünftigen Umweltpolitik der Volksrepublik, und welche Auswirkungen wird das auf ausländische Chemieunternehmen haben? Einige Beispielen aus der chinesischen Chemieindustrie sollen dies illustrieren.

Staatlich verordneter Umweltschutz

Präsident Xi Jinping hat den Umweltschutz zu einem zentralen Punkt seiner Politik erklärt. Warum? Zum einen hat die politische Führung erkannt, dass der zunehmende Wohlstand im Land in weiten Teilen der Bevölkerung zu einer höheren Bewertung der Umweltqualität geführt hat. Um zu vermeiden, dass sich daraus eine signifikante Protestbewegung entwickelt, hat sich die Führung diese Ziele angeeignet. Daneben spielen auch handfeste ökonomische Interessen eine wichtige Rolle. Dies betrifft zum einen die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Umweltverschmutzung – eine Studie des Center for Research on Energy and Clean Air nennt für China jährliche Kosten von 600 Mrd. USD allein für die Folgen der Luftverschmutzung.

„Umweltschutz fügt sich gut in Chinas Ziel ein,
eine führende Technologienation zu werden.“

 

Zum anderen gibt es aber auch die Erkenntnis, dass führende Umwelttechnologien (wie zum Beispiel Elektroautos) ein wichtiger Faktor im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf der Nationen darstellen. Umweltschutz – einschließlich der dafür benötigten neuen Technologien – fügt sich damit gut in Chinas Ziel ein, eine führende Technologienation zu werden.

Dong Zhanfeng, ein Vizedirektor der Chinese Academy of Environmental Planning, nennt in einem Artikel drei Hauptprobleme der lokalen chemischen Industrie in Bezug auf Umweltschutz: die hohe Emission von Kohlendioxid, den hohen Energieverbrauch und die ungünstige Industriestruktur, womit er vor allem das Vorhandensein von Überkapazitäten auf Basis veralteter Technologien meint. Entsprechend beschreibt er drei Stoßrichtungen, um die Situation anhand staatlicher Initiativen zu verbessern.

Zum einen soll sich die Chemieindustrie stärker als bisher auf innovative, differenzierte und hochwertige Produkte fokussieren. Zweitens soll gezielt der Kohlendioxidausstoß der Industrie reduziert werden - ein ihm dafür geeignet scheinendes Instrument ist ein Markt für Kohlendioxidemissionen. Drittens soll die Einhaltung der Umweltgesetzgebung strikter überwacht werden.

Dies sind allerdings immer noch wenig konkrete Aussagen. Die folgenden Beispiele zeigen, wie Behörden und Chemieunternehmen konkret auf die stärkere Betonung des Umweltschutzes durch die Zentralregierung reagieren.

Verschärfte Regulatorien

  • Die Provinz Guangdong hat einen Allokationsplan für Kohlendioxidemissionen erlassen, der auch 12 petrochemische Unternehmen betrifft. Zwar decken die initialen kostenfreien Emissionsquoten 97% der historischen Emissionen ab, wodurch der initiale Effekt nur gering ist. Allerdings ist eine Ausweitung auf weitere Chemieunternehmen und eine Senkung der Quoten wahrscheinlich.
  • Schanghai hat zu Jahresbeginn die Verwendung von nicht-bioabbaubaren Kunststoffen für die Verpackung von Essen verboten
  • Seit 2017 ist der Import von Plastikschrott nach China weitgehend verboten
  • Ende 2020 wurden neue, verschärfte Richtlinien zum Umgang mit Sondermüll erlassen

Firmenschließungen und Umsiedelungen

 

„8.000 Chemieunternehmen wurden bereits umgesiedelt,
viele Chemieparks aufgrund
Nichterreichung gesetzter Standards geschlossen.“

 

  • Innerhalb einer Entfernung von einem Kilometer vom Yangtse wurde Chemieproduktion komplett verboten. Strafen bei Nichtbefolgung können bis zu 5 Mio. RMB (knapp 650.000 EUR) erreichen. 8.000 Chemieunternehmen wurden daher bereits umgesiedelt.
  • Viele Chemieparks wurden aufgrund Nichterreichung gesetzter Standards geschlossen, zum Beispiel vier von 35 in Guangdong. Dies ist bemerkenswert, weil gleichzeitig der Druck auf Unternehmen zur Umsiedelung in Chemieparks zunimmt und somit große Nachfrage nach Gewerbeflächen in Chemieparks besteht.
  • In Jiangsu wurden in den letzten Jahren etwa 2.000 Chemieunternehmen – die Hälfte der existierenden Firmen – geschlossen.
  • Zwei Tochterfirmen des großen Farbstoffherstellers, Jiangsu Yabang, müssen den Chemiepark in Lianyungang verlassen, weil sie nicht den Anforderungen des Parks entsprechen. Sie erhalten vom Staat eine Kompensationszahlung in Höhe von etwa 300 Mio. RMB (ca. 38,7 Mio. EUR), die die Ernsthaftigkeit der staatlichen Anstrengungen illustriert.

Förderung neuer Technologien

  • Anfang 2021 unterzeichnete eine Gruppe von 17 chinesischen Chemieunternehmen und Chemieparks die Erklärung "China Petroleum and Chemical Industry Carbon Peak and Carbon Neutral Declaration", die u.a. die Förderung von Forschung zur Reduktion der Kohlendioxidemissionen beinhaltet.
  • Sinopec kooperiert mit drei führenden akademischen Institutionen mit dem Ziel, den maximalen Kohlendioxidausstoß spätestens im Jahr 2030 zu erreichen.
  • Sinopec will außerdem bis zum Jahr 2025 die Zahl der betriebenen Wasserstoff-Tankstationen von 27 auf 1.000 erhöhen und positioniert sich als zukünftiger Marktführer im Bereich Wasserstoff.
  • Japan und China werden gemeinsam in Yulin ein Projekt zur Produktion von Methan aus anfallendem Kohlendioxid und überschüssigem industriellen Wasserstoff starten.

Eliminierung veralteter Technologien

  • In Shandong beendeten im Jahr 2020 insgesamt neun Unternehmen die Produktion von Ammoniak als Teil einer Kampagne zur Eliminierung von veralteten Technologien.
  • In Shandong wurden außerdem 13 Raffinerien mit unterkritischen Kapazitäten unter 2 Mio. t und zumeist veralteten Technologien geschlossen.
  • Die Produktion von Propylenoxid nach dem Chlorhydrinverfahren wurde aufgrund der hohen Abwasserproduktion in die Liste limitierter Prozesse aufgenommen und darf seit 2015 für Neuanlagen nicht mehr verwendet werden.

Widersprüche und Inkonsequenzen

Trotz dieser vielen Beispiele muss auch erwähnt werden, dass Chinas Umweltpolitik in Bezug auf die Chemieindustrie in einigen Aspekten widersprüchlich erscheint. Zum Beispiel veranlassen Behörden in östlichen Provinzen wie Jiangsu die Schließung einzelner Produktionsanlagen wie der von Jiangsu Yabang, was jedoch nur dazu führt, dass diese ihre Produktion in westliche Provinzen, wie in diesem Fall Gansu, verlagern. Auch für die Pestizidproduktion ist diese Westverlagerung ein nicht zu übersehender Trend. Dadurch wird zwar – politisch attraktiv – die Umweltsituation in den bevölkerungsreichen Ostprovinzen verbessert. Es stellt jedoch ohne gleichzeitige Veränderung der Produktionstechnologien keinen Nettogewinn für die Umwelt dar.

Ein ähnlicher Fall ist die andauernde politische Unterstützung der Chemieproduktion auf Kohlebasis. Weiterhin werden neue Kohlechemieprojekte genehmigt, und die Streichung einiger solcher Projekte erfolgte primär aus ökonomischen Gründen. Dieses Festhalten ist verständlich aufgrund der Abhängigkeit Chinas von importiertem Öl und Chinas Know-how auf dem Gebiet der Kohlechemie, steht aber im Widerspruch zum Ziel der Reduktion der Kohlendioxidemission.

Und die Zahl der Chemieunfälle ist zwar in den letzten Jahren zurückgegangen, der Hauptgrund für die verbleibenden Unfälle ist aber immer noch die Nichteinhaltung bestehender einfacher Regeln. Die Umsetzung der Richtlinien ist also immer noch sehr unvollständig.

Auswirkungen für ausländische Chemieunternehmen

 

„Die Verschärfung trifft lokale Unternehmen härter,
der Wettbewerb wird für
ausländische Unternehmen fairer.“

 

Was bedeuten diese Entwicklungen für ausländische Chemieunternehmen? Auch wenn viele dieser Unternehmen direkt von einzelnen Regeln betroffen sind und bspw. ihre Chemieproduktion aus Städten wie Wuxi und Suzhou verlagern mussten, ist der Gesamteffekt eher positiv. Ausländische Unternehmen wurden in der Vergangenheit deutlich strikter auf Einhaltung der Umweltrichtlinien kontrolliert als lokale Unternehmen. Die Verschärfung der Implementierung trifft daher lokale Unternehmen härter, der Wettbewerb zwischen lokalen und ausländischen Unternehmen wird dadurch fairer.

Aufgrund ihrer Erfahrung an westlichen Produktionsstandorten sollten ausländische Unternehmen darüber hinaus in der Lage sein, schneller und mit geringeren Kosten auf Verschärfungen von z.B. Emissionsgrenzen reagieren zu können. Ein weiterer Aspekt ist, dass westliche Unternehmen in der Regel bereits stärker auf die Produktion von Spezialchemikalien ausgerichtet sind. Diese sind tendenziell aufgrund der kleineren Produktionsmengen weniger von Umweltauflagen betroffen und verfügen aufgrund ihres höheren Preises über einen größeren Puffer, um Kosten für verschärfte Umweltauflagen aufzufangen.

Darüber hinaus bietet die Situation in China auch einen großen potenziellen Markt für neue Produkte und moderne Produktionstechnologien. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass westliche Unternehmen von chinesischen Firmen gekauft werden, wie das Beispiel von Ehrfeld Mikrotechnik (erworben durch Shaoxing Eastlake) zeigt. Gängiger dürfte der Fall sein, dass neue, umweltfreundliche, im Westen entwickelte Produktionstechnologien in erster Linie in China zur Anwendung kommen werden – zum einen, weil wie oben dargestellt hier wachsendes Interesse an diesen Technologien besteht, zum anderen, weil China nach wie vor für die globale Chemieindustrie den attraktivsten Standort für Neuinvestitionen darstellt.

Autor: Kai Pflug, Management Consulting - Chemicals

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ZUR PERSON

Kai Pflug lebt seit mehr als 15 Jahren in Schanghai, zunächst als Berater und Generalbevollmächtigter von Contrium/Stratley, seit 2009 als CEO seiner eigenen Strategieberatungsfirma. Er bietet unabhängige Managementberatung für die chemische Industrie an, die auf seiner mehr als 20-jährigen Erfahrung in der Unternehmensberatung (u.a. Arthur D. Little, MCC) fußt. Als promovierter Chemiker (Universität Hamburg und University of California, Berkeley) sammelte er fünf Jahre Berufserfahrung in der Chemieforschung und im Marketing (Dentsply), bevor er einen Masterabschluss in Wirtschaftswissenschaften erwarb und in die Beratungsbranche wechselte.