Strategie & Management

Die Chargenfreigabe auf dem Prüfstand

Neue Softwarelösung macht Kostenstelle zum Wettbewerbsvorteil

17.08.2022 - Zwei internationale Pharmariesen haben in Co-Innovation mit SAP eine Softwarelösung für die Chargenfreigabe entwickelt. Warum gerade jetzt – und was kann die Lösung?

Die Nachricht ging um die Welt: Im Sommer 2021 konnte ein US-Pharmahersteller die zugesagte Menge an Covid-19-Impfstoffen nicht liefern. In einem Impfstoff-Werk waren mehrere Chargen mit insgesamt rund 60 Millionen Dosen durch Verunreinigungen unbrauchbar geworden. Der Aktienkurs des Unternehmens stürzte dramatisch ab.

Das ist kein Einzelfall: Allein in den USA gibt es jedes Jahr rund 100 Produktrückrufe. Studien zufolge verlieren Unternehmen am Tag des Rückrufs durchschnittlich 362 Mio. USD. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig die Chargenfreigabe in der Wertschöpfungskette ist – und wo aktuell die Schwachstellen liegen.

Wo es im Qualitätsmanagement hakt
Drei Herausforderungen machen Qualitätsmanagern und Qualified Persons zu schaffen: erstens mangelnde Kontrollen, die zu Rückrufen führen können. Eng damit zusammen hängt zweitens die hohe Arbeitslast, die die Verantwortlichen zwingt, sich ganz auf das Sammeln und Analysieren von Daten zu fokussieren. In vielen Großunternehmen müssen Qualitätsmanager vor einer Freigabe ein gutes Dutzend Systeme und Papierakten durchforsten. Eine einzige Freigabe dauert so je nach Komplexität des Produkts zwischen 40 und 500 Stunden. Da bleibt wenig Zeit, Fehlern auf den Grund zu gehen und damit künftigen Vorfällen besser vorzubeugen. Drittens gibt es immer anspruchsvollere und damit kostspieligere Compliance-Vorgaben. Die Prozesskosten pro Charge liegen in Deutschland – konservativ geschätzt – bei rund 2.500 EUR. Schon mit kleinen Optimierungen würden die Unternehmen mit ihren Zehn- bis Hunderttausenden Chargenfreigaben pro Jahr gewaltige Summen einsparen.

Softwarelösung vereinfacht den Chargen-Freigabeprozess
Zwei große internationale Pharmaunternehmen wollten dieses Thema ein für alle Mal lösen – und holten sich dazu mit SAP den weltgrößten Anbieter von Business-Software an Bord. Herausgekommen ist nun die Softwarelösung SAP Batch Release Hub for Life Sciences.
Die Idee dahinter ist einfach: Die gesamte Chargenfreigabe lässt sich zentral steuern. In einem einzigen Tool laufen alle Daten zusammen. Die Prozesse sind standardisiert und weitgehend automatisiert – und zwar für alle Standorte. Viel Zeit spart das beispielsweise beim sonst sehr aufwendigen Komponenten-Check: Alle Daten zu Rohstoffen und Verpackungen lassen sich in einer Anwendung koordinieren, auch der Chargenbaum wird dort konstruiert und dargestellt. Damit lässt sich der Weg vom Rohmaterial zum Endprodukt – und umgekehrt – schnell nachvollziehen. 

Kehrtwende im Qualitätsmanagement
Aktuell verbringen die Qualified Persons und ihre Teams nahezu die gesamte Zeit mit Aufgaben, die nicht unmittelbar sicherheitsrelevant sind oder gar zur Wertschöpfung beitragen: Sie erfassen Daten und gleichen Informationen aus verschiedenen Quellen manuell ab. Es bleibt keine Zeit, abgelehnte Chargen nachzuverfolgen. Alles ist Routine und Reaktion.
Werden die Daten nun automatisch erfasst und abgeglichen, werden diese Kapazitäten frei und lassen sich in das Qualitätsmanagement investieren. Damit wird ein ausnahmebasiertes Review möglich: Statt Chargen standardmäßig zu überprüfen, fokussieren sich die Qualitätsmanager ganz auf Ausnahmefälle, also fehlerhafte Chargen, und deren Ursachen. So lassen sich strukturelle Schwachstellen in der Produktion restlos aufklären und der Gesamtprozess kontinuierlich optimieren. Das bedeutet eine Wende um 180 Grad: Die frühere Kostenstelle gewährleistet nun aktiv die Qualität der Chargen. Für die Zukunft ist außerdem angedacht, dass die Unternehmen mit der Software viele Entscheidungen weitgehend an das System auslagern können – Machine Learning macht es möglich. 
Das SAP-Team für den Bereich Industry Advisory und Value Manage­ment unterstützt Unternehmen dabei, auf Basis eines Wertetreiberbaums für Chargenfreigaben die Wertetreiber mit dem größten Potenzial zu identifizieren. Dazu gehört beispielsweise die Frage, welche Effekte der Rückruf eines Produkts hat – etwa Compliance-Kosten, Zeitersparnis, Lagerdauer. Was früher Wochen dauerte, lässt sich nun in Tagen oder sogar Stunden erledigen.
Noch einfacher gelingt ein Prozess, der bislang häufig für schlaflose Nächte sorgte: der Audit. Bei Audits muss die Dokumentation in der IT lückenlos nachgewiesen werden. Mit der Softwarelösung finden sich alle Informationen an einem Ort statt in verteilten Systemen und Aktenordnern. Außerdem werden Audit-Logfiles bei jedem Vorgang automatisch mitgeschrieben. So ist immer klar, wer wann welchen Schritt veranlasst hat. Verlangt eine Behörde bestimmte Freigabelisten, lassen sich diese direkt aus dem System generieren. Das ermöglicht eine compliancesichere Vorgehensweise und spart den Unternehmen viel Zeit.

Chargen für Zell- und Gentherapie – eine Herausforderung
Produkte für Zell- und Gentherapien sind die aktuell größte Marktchance für die Pharmaindustrie. Gebraucht werden neue Methoden, um die Unterschiede zwischen den einzelnen Chargen zu überwachen und zu formulieren, etwa wenn es um die thermische Stabilität oder RNA-Kontaminationen geht. Hier spielt eine Softwarelösung, die sämtliche Prozesse und Entscheidungen vereinfacht, ihre Vorteile voll aus.
SAP-Experten schätzen, dass Pharmaunternehmen mit der Lösung SAP Batch Release Hub for Life Sciences bis zu 50 % der Zeit für die Auftragsvorbereitung und bis zu 50 % Compliance-Risikomanagementkosten einsparen können. Der gesamte Freigabeprozess könnte sich um den Faktor 10 beschleunigen. Dadurch sinken nicht zuletzt die Lagerkosten. Außerdem sind Fehler durch beispielsweise falsche Dateneingaben praktisch ausgeschlossen, die „Right First Time“-Rate steigt.
Unter dem Strich adressiert die SAP-Lösung damit die drei großen Herausforderungen in der Chargenfreigabe. Die Qualität der Produkte steigt, was Rückrufaktionen vorbeugt. Die Mitarbeitenden haben deutlich mehr Zeit, Fehlern auf den Grund zu gehen und den Gesamtprozess zu optimieren. Und auch die Compliance-Kosten sinken.
Die beiden Pharmaunternehmen starten in diesen Tagen mit der Lösung. Wir können gespannt sein, wie sich ihre Pionierarbeit auszahlt.


Károly Földesi, Senior Director Digital Business for Life Sciences, SAP Deutschland SE & Co. KG, Walldorf

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