Anlagenbau & Prozesstechnik

Power-to-X – Nachhaltige Produktionsrouten für eine klimaneutrale Industrie

Chemieproduktion ohne fossile Ressourcen

02.10.2023 - Zahlreiche Industriezweige können erneuerbar erzeugten Strom nicht direkt nutzen oder sind auf fossile Ressourcen zur stofflichen Nutzung angewiesen. Um die Klimaziele trotzdem zu erreichen, müssen die betroffenen Sektoren Alternativen zu den bisher verwendeten fossilen Rohstoffen finden. Die Antwort auf diese Herausforderung heißt Power-to-X. Was sich dahinter verbirgt und welches Potenzial in den Technologien steckt, erklärt dieser Trendbericht

Alte fossilbasierte Produktionsketten mit neuen nachhaltigen zu ersetzen – dies verspricht das Konzept von Power-to-X (PtX). Die Idee hinter PtX ist es, mit erneuerbar generiertem Strom (Power) verschiedene grüne Energieträger und Materialien (X) zu erzeugen. Dieses Konzept ist insbesondere ein Lösungsansatz für Bereiche, die ihre Prozesse nicht direkt elektrifizieren können oder deren Produkte auf fossilen Rohstoffen basieren. Im Mittelpunkt steht vor allem elektrolytisch gewonnener Wasserstoff. Dieser kann sowohl als Energieträger und -speicher dienen als auch als Ausgangsstoff für die Herstellung von Ammoniak oder in Form von Synthesegas (Syngas) zur Produktion von unterschiedlichen Kohlenwasserstoffverbindungen. Für die letztere Variante bedarf es außerdem einer nachhaltigen Kohlenstoffquelle wie z.B. CO2, das aus biogenen Quellen stammen oder aus der Luft abgeschieden werden kann (Direct Air Capture, DAC). Aus den nachhaltig gewonnenen Kohlenwasserstoffverbindungen können Kraftstoffe sowie zahlreiche Basischemikalien für die chemische Industrie hergestellt werden. So bietet PtX nicht nur klimafreundliche Energieträger an, sondern kann in Form von Polymeren, Düngemitteln und zahlreichen weiteren Produkten stofflich genutzt werden.

Am Anfang war der Wasserstoff

Der Ausgangspunkt für die PtX-Routen ist in der Regel der grüne Wasserstoff, sodass die Herstellung über die elektrolytische Spaltung von Wasser eine elementare Rolle für das Konzept spielt. Die wichtigsten Elektrolysemethoden lassen sich in drei Gruppen unterteilen: die alkalische Wasserelektrolyse, die Fest­oxid-Elektrolyse (Solid Oxide Electrolyser, SOE) und die Protonenaustauschmembran-Elektrolyse (Proton Exchange Membrane, PEM).

Die alkalische Elektrolyse ist eine weitverbreitete und etablierte Elektrolysemethode, die daher über eine hohe technologische Reife verfügt. Ihr Name verrät bereits den alkalischen Betrieb mit einer hochkonzentrierten Lösung aus KOH/NaOH. Jedoch wird diese Methode bei niedrigen Stromdichten von bis zu 400 mA/ cm2 (für groß-skalige Wasserstoffproduktion wären über 1 A/cm2 wünschenswert) und einer Energieeffizienz von bis zu 80 % betrieben. Eine neue Variante der alkalischen Elektrolyse (Anion Exchange Membrane, AEM) setzt eine Polymermembran anstelle eines Asbest-Diaphragmas ein. Die AEM-Elektrolyse befindet sich aber noch in der Entwicklung.

Die SOE zeichnet sich durch sehr hohe Energieeffizienzen von über 90 % aus. Bei hohen Temperaturen (bis zu 850 °C) spaltet diese Methode Wasser in Form eines Dampfes elektrolytisch zu Wasserstoff. Der entscheidende Nachteil der SOE ist, dass die Elektrolysezelle für den Dauerbetrieb nicht ausreichend langlebig ist, da die hohen Temperaturen zu einer schnelleren Abnutzung führen.

Die PEM-Wasserelektrolyse gilt als die bevorzugte Variante in der Wasserstoffherstellung aufgrund der hohen Reinheit des Wasserstoffs, hoher Energieeffizienz (80 bis 90 %), höheren Stromdichten (2 bis 3 A/cm2) und einfacher Handhabung. Der große Nachteil der PEM-Elektrolyse sind die hohen Kosten und große Anfälligkeit des Katalysators.

Sowohl die alkalische als auch die PEM-Elektrolyse sind kommerziell erhältlich, während SOE und die AEM-Elektrolyse weiterhin entwickelt werden. Doch im Gegensatz zur AEM-Elektrolyse (noch im kW-Maßstab) ist die SOE inzwischen recht weit fortgeschritten und nähert sich industriellen Größenordnungen an.

Der Ausbau der globalen Elektrolyse-Kapazitäten ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen und lag 2022 bei 11 GW, die größtenteils von Europa und China hergestellt werden. Bis zum Jahr 2030 könnte durch die Umsetzung anstehender globaler Projekte eine Kapazität von bis zu 365 GW aufgebaut werden. Dabei decken Europa und Australien zusammen nahezu die Hälfte der geplanten Elektrolyseurkapazitäten ab. Dies entspräche einem deutlichen Zuwachs, läge jedoch weiterhin hinter den benötigten installierten Elektrolysekapazitäten von 550 GW, die für das Erreichen der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 geschaffen werden sollen.

Viele Wege führen nach X

PtX kann über eine Vielzahl von Prozessrouten erfolgen, die vom jeweiligen Anwendungsbereich abhängen. Neben der Wasserelektrolyse befinden sich weitere Elektrolyseverfahren in der Entwicklung, die Stickstoff zu Ammoniak und CO2 zu CO, Syngas oder Ameisensäure umwandeln. Dies sind die Grundstoffe, die in weiteren Stufen wie bspw. Carbonylierung, Haber-Bosch-Verfahren (Ammoniakherstellung) oder Fischer-Tropsch-Prozess (Kohlenwasserstoffherstellung) eingesetzt werden. Das X aus PtX ist demnach eine Variable, die je nach Einsatzgebiet ausgetauscht und angepasst werden kann. Dies bedeutet ebenfalls, dass sich die Fragestellungen in der Entwicklung der PtX-Technologien je nach Einsatzgebiet stark unterscheiden können. Ammoniak ist zum einen interessant für eine grüne Herstellung von Düngemitteln. In diversen Wasserstoffstrategien dient Ammoniak aber auch als Energieträger, da sich dieser im Gegensatz zu Wasserstoff bei moderaten Temperaturen verflüssigen lässt und somit für den Transport von grüner Energie über weite Distanzen eingesetzt werden soll. Der Wasserstoff könnte dann über sogenannte Ammoniakcracker zurückgewonnen werden. Einen großen Hebeleffekt könnten PtX-Prozesse insbesondere in der chemischen Industrie haben, denn dort ist man bisher auf fossile Rohstoffe in der stofflichen Nutzung angewiesen. Bereiche wie die Carbonylchemie, die Verbindungen wie Ibuprofen im Megatonnen-Maßstab herstellt, könnten mit PtX-Technologien nachhaltig gestaltet werden.

© Dechema
Schema zu PtX-Routen.

 

Power-to-Liquid – Herstellung von E-Fuels

Ein prominentes Beispiel für eine PtX-Anwendung ist die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen, auch bekannt als E-Fuels. An dieser Stelle spricht man auch von Power-­to-Liquid (PtL). Die synthetisch hergestellten PtL-Kraftstoffe können als Benzin, Diesel oder Kerosin eingesetzt werden. Ermöglicht wird die Herstellung durch ein bereits 100 Jahre altes Verfahren: die Fischer-Tropsch-Synthese. Unter hohen Drücken und Temperaturen von 200 bis 300 °C können mit Eisen- bzw. Cobalt-Katalysatoren Alkohole, Alkene und Paraffine aus Syngas aufgebaut werden. Diese Synthese kann mit einer reverse Water-Gas-Shift-Reaktion (rWGS) gekoppelt werden, sodass ausgehend von Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid das Syngasgemisch in einer Vorstufe generiert wird. Zusammen mit einer nachhaltigen Kohlendioxidquelle (biogen oder aus der Atmosphäre) können auf diesem Weg klimaneutrale Kraftstoffe hergestellt werden. Zwar sind elektrifizierte Automobile im Aufwind und in der Energienutzung effizienter, jedoch fehlen für den Schwertransport über Lastwagen, Schiffe und den Flugverkehr praktikable Lösungen.

Insbesondere Flugzeuge und Schiffe, die eine Lebenszeit von Jahrzehnten haben, könnten mit E-Fuels weiter betrieben und die bereits bestehende Infrastruktur weiter genutzt werden. Zahlreiche internationale Projekte starten aktuell größere Demonstrationsvorhaben mit Millionen von Litern umfassenden Produktionen von E-Fuels. Neben der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff wird in Zukunft auch die Kohlenstoffquelle von Bedeutung sein, da die CO2-Abscheidung aus der Luft momentan noch äußerst energie-intensiv und kostspielig ist. Bis 2030 wird davon ausgegangen, dass CO2 bis zu 90 % aus Punktquellen aus der Industrie und biogenen Quellen für die E-Fuel-Produktion gewonnen wird. Der CO2-Bedarf für die PtL-Produktion soll jedoch bis 2050 zu 75 % aus Direct Air Capture (DAC) gewonnen werden, da die Punktquellen mit Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes der Industrie stark abnehmen werden.

Kopernikus-Projekt P2X – Einblick in ein deutsches Förderprojekt

Die technische Integration von PtX-Systemen über Demonstrationsvorhaben ist von hoher Bedeutung, um eine schnelle Implementierung der Technologie zu erreichen. Aus diesem Grund sind europaweit bis zu 220 PtX-Projekte in Arbeit, Planung oder bereits abgeschlossen. Ein Großteil dieser Projekte wird in Deutschland durchgeführt. Ein sehr umfangreiches Vorhaben zum Thema Wasserstoff sind die Wasserstoffleitprojekte, die Deutschlands Elektrolyseurkapazitäten in einen GW-Maßstab bringen möchten. Aktuelle Entwicklungen im Bereich PtX können innerhalb von Deutschland gut an Fördermaßnahmen wie dem Kopernikus-Projekt P2X beobachtet werden. Darin fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Entwicklung von PtX-Technologien und -Vorhaben für unterschiedlichste Bereiche der Industrie.

Von der Wasserelektrolyse bis zum Endprodukt werden komplette Produktionsketten berücksichtigt und neue Produktionsrouten für die Chemie- und Grundstoffindustrie entwickelt. Dies beinhaltet bspw. die Entwicklung von nachhaltigen Polymeren, CO2-zu-CO-Elektrolyseuren für die Carbonyl­chemie und die Herstellung von normgerechten E-Fuels. Bei der Elektrolyse verfolgt das Projekt zwei Ansätze: Die Wasser-Elektrolyse zur Herstellung von reinem Wasserstoff und die Ko-Elektrolyse, bei der zusätzlich CO2 hinzugefügt wird, sodass ein Syngas-Gemisch entsteht.
Deutliche Fortschritte kann das Kopernikus-Projekt P2X bei der Wasserstofferzeugung und der Entwicklung von Kraftstoffen vorweisen. Zu den wichtigsten Projektergebnissen zählt die Optimierung von Elektroden für die PEM-Wasser-Elektrolyse. Den P2X-Forschern ist es gelungen, die Beladung der Elektroden mit dem seltenen Metall Iridium um den Faktor acht zu reduzieren und dadurch die Kosten zu senken. In der Ko-Elektrolyse wurde die Prozessführung verbessert, sodass das Syngas-Gemisch beliebig variiert und so an den Verwendungszweck angepasst werden kann.

Zudem wurde ein Container-System erprobt, in dem PtL-Kraftstoffe dezentral hergestellt werden können. Es enthält alle wesentlichen Komponenten, um aus Wasser und CO2 aus der Luft Kraftstoffe herzustellen. So befinden sich Elektrolyseur, DAC-Modul und der Fischer-Tropsch-Reaktor direkt an einem Ort und konnten aufeinander abgestimmt werden. Dabei wurde die Integration eines Ko-Elek­trolyse-Moduls in das PtL-System erfolgreich demonstriert. Darin kann die bei der Fischer-Tropsch-Reaktion entstehende Wärme genutzt werden, um die Elektrolyse zu beheizen, wodurch sich ihr Wirkungsgrad erhöht. Normgerechte Kraftstoffe wie Kerosin, Benzin und Diesel konnten bereits produziert werden. Im nächsten Schritt wird der Fokus speziell auf PtL-Kraftstoffe für den Flugverkehr gerichtet.

Das BMBF-geförderte Kopernikus-Projekt erforscht nicht nur die technische Entwicklung von Power-to-X-Technologien, sondern bewertet auch ihr Potenzial und ihre Realisierbarkeit. Dazu werden in einem Roadmapping-Prozess fortlaufend ökonomische, ökologische und soziale Analysen durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass PtX-Technologien für das Erreichen der Klimaziele zwingend notwendig sind. Zu den Kernaussagen der Roadmap gehört, dass eine Entkopplung von der fossilen Strombereitstellung noch vor der Implementierung der PtX-Technologien erfolgen sollte. Erst dann sind PtX-Technologien nachhaltiger gegenüber konventionellen Technologien. Einen Beitrag zur Klimaneutralität leisten heute schon PtX-Prozesse, die direkt mit nachhaltigem Strom betrieben werden. Verläuft der Betrieb über einen Strommix, so hängt der Beitrag zur Nachhaltigkeit stark vom fossilen Anteil der Strombereitstellung ab. Für das zukünftige Energiesystem werden PtX-Anwendungen als unverzichtbar gesehen. Dies führt jedoch dazu, dass der Gesamtbedarf an erneuerbaren Energien merklich anwachsen muss, da diese neben den direktelektrifizierbaren Prozessen ebenfalls für PtX zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Energiesektor und die Rohstoffbereitstellung sollten bei Einhaltung der Klimaziele bis 2045 klimaneutral sein und werden laut den Basisszenarien der Roadmap 1667 TWh konsumieren. Während ein Drittel des Endenergiebedarfs durch erneuerbaren Strom direkt abgedeckt wird, werden etwa 34 % des Gesamtbedarfs für PtX-Anwendungen in der Industrie und dem Mobilitätssektor benötigt.

© Dechema
Konzept des P2X-Containers.   © Chokri Boumrifak, Dechema

 

Quo vadis PtX?

Die meisten PtX-Vorhaben sind Pilot- bis Demonstrationsprojekte. Eine vollständige Reife der PtX-Technologien ist noch nicht erreicht, doch die Entwicklungen schreiten schnell voran. Neben der Zahl der PtX-Projekte nimmt auch die Skalierung der darin entwickelten Technologien zu, sodass die kommerzielle Nutzung immer näher rückt. Selbst die Nachschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie aus dem August 2023 setzt nun ambitioniertere Ziele wie z.B. die Verdopplung der ausgebauten Elektrolysekapazität auf 10 GW bis 2030 und laufende wie auch zukünftige Förderinstrumente sollen weiter unterstützt werden.

Die Nachhaltigkeit von PtX steht und fällt jedoch mit der Nachhaltigkeit des eingesetzten Stromes. Deswegen ist für eine erfolgreiche Umsetzung von PtX-Systemen neben der technologischen Reife der Anlagen auch ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien erforderlich, um die Klimaziele für 2030 und 2045 zu erreichen. Da jedoch das Potenzial der erneuerbaren Energien für Deutschland begrenzt ist, wird perspektivisch ein Großteil des grünen Wasserstoffs importiert werden müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt geht die Bundesregierung von Importen von 50 bis 70 % des zukünftigen Wasserstoffbedarfs im Jahr 2030 aus. Eine weitere meist ungeklärte Frage ist die Herkunft der Kohlenstoffquelle. Der Bedarf an CO2 für PtX-Prozesse wird kurz- und mittelfristig nicht mit biogenen Quellen und der CO2-Abscheidung aus der Luft (Direct Air Capture, DAC) gedeckt werden können, da die verfügbaren Mengen und technischen Kapazitäten noch nicht ausreichend vorhanden sind. Industrielle CO2-Quellen sind eine Option, um die Lücke zu füllen, jedoch sind diese umstritten, da durch diese Lock-in-Effekte entstehen können. Eine Carbon-Management-Strategie und politische Maßnahmen könnten hier Klarheit für die Zukunft von PtX schaffen.

Trotz einiger Hürden befinden sich PtX-Technologien auf einem aussichtsreichen Weg zur Implementierung und können einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten. Zur Einhaltung der Klimaziele sind schwer zu elektrifizierende Prozesse dringend auf solche klimafreundlichen Lösungen angewiesen. PtX schafft somit für weite Teile der chemischen Industrie, des Energie- und Mobilitätssektors eine Perspektive, eine klimaneutrale Zukunft zu erreichen.

Autor:

©   Chokri Boumrifak, Wissenschaftlicher Projektmanager Energie und Klima, Dechema

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Nachgefragt

Interview mit Alexander Zschocke, Senior Manager Power-to-Liquid, Abteilung Kompetenzzentrum Klima- und Lärmschutz im Luftverkehr, CENA (Climate, Environment and Noise Protection in Aviation)

CITplus: Herr Zschocke, was schätzen Sie, wie viel Zeit die Energiewende in der Luftfahrt erfordert?

Alexander Zschocke: Es wird definitiv Jahrzehnte dauern, bis der Prozess abgeschlossen sein wird. Ein großes Problem ist hierbei, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen gibt, wie diese Energiewende aussehen wird.

Ein Ansatz ist die Verwendung von Bio­kerosin. Hier existieren bereits mehrere große Anlagen, und ein guter Teil der bestehenden Erdölraffinerien könnte mit begrenztem Aufwand umgebaut werden. Im Prinzip lässt sich auf diesem Wege die Energiewende in einigen Jahrzehnten umsetzen; die Frage ist aber, ob hierfür genug nachhaltige Biomasse zur Verfügung stehen wird, die nicht mit der Ernährung konkurriert.

PtL-Kerosin benötigt keine Biomasse und steht nicht in Konkurrenz zur Landwirtschaft. Für die großmaßstäbliche Umsetzung dieser Technologie sind allerdings erhebliche neue Investitionen erforderlich. Zum einen muss erst einmal die erforderliche regenerative Stromerzeugung aufgebaut werden, und zwar zusätzlich zu dem, was ohnehin zur Stromversorgung der Bevölkerung benötigt wird. Zum anderen müssen Anlagen gebaut werden, die das für den Prozess benötigte CO2 aus der Luft herausfiltern, da CO2 aus Industrieanlagen mittelfristig nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Der Bau derartiger Anlagen wird Zeit kosten, sodass sich eine komplette Umstellung auf PtL-Kerosin über 2050 hinaus erstrecken würde.

Andere Ansätze wollen ohne Kerosin auskommen und entweder Wasserstoff als Treibstoff einsetzen oder auf Elektroflugzeuge umstellen. Hier sind noch grundsätzliche technische Fragen zu klären, sodass Zeitaussagen extrem schwierig sind.

Existieren schon Zulassungen zur Nutzung von synthetischem Kerosin im Flugzeug? Wenn ja, wo und welche oder wann erwarten Sie diese?

A. Zschocke: Die Zulassung von synthetischem Kerosin erfolgt durch die ASTM (American Society for Testing Materials). Gegenwärtig sind acht verschiedene Produktionswege zugelassen sowie zusätzlich mehrere Möglichkeiten des Co-Processing. Synthetische Kraftstoffe sind allerdings alle Kraftstoffe, die nicht auf fossilem Rohöl basieren, also auch solche, die aus fossilem Erdgas oder Kohle oder aus Biomasse hergestellt werden. Vier dieser Produktionswege sind auch für strombasierte Kraftstoffe nutzbar. Das sind zum einen die Fischer-Tropsch-Pfade (FT-SPK und FT-SPK/A) und zum anderen die alkoholbasierten Pfade (ATJ-SPK und ATJ-SKA).

Wie weit sind wir von einem real nutzbaren strombasierten Kerosin entfernt?

A. Zschocke: Die ersten kleinen Mengen wird es voraussichtlich bald geben. Ineratec errichtet gegenwärtig im Industriepark Höchst eine PtL-Anlage, die Ende des Jahres in Betrieb gehen soll und eine Kapazität von mehreren 1.000 t FT-Crude jährlich haben wird. Diese Anlage wird dann die größte derartige Anlage der Welt sein. Das FT-Crude ist aber nur ein Zwischenprodukt, das noch aufgearbeitet werden muss. Ein von CENA koordiniertes Konsortium hat einen Förderantrag für ein Projekt gestellt, in dem die Aufarbeitung des FT-Crude zu Kerosin untersucht werden soll. Die Erzeugung erster kleiner Mengen von PtL-Kerosin in diesem Projekt ist im Jahre 2026 vorgesehen.

Zurzeit basieren die meisten Herstellungsverfahren auf der Fischer-Tropsch-Route. Alternativ existiert auch eine Methanol-­Route – Methanol-to-Olefins –, die aber noch nicht für die Kerosin-Nutzung zugelassen ist. Sehen Sie eine Zukunft für die Methanol-Route?

A. Zschocke: Ja, definitiv. Meines Erachtens werden sich bei der PtL-Erzeugung die Alcohol-to-Jet-Verfahren, zu denen auch Methanol-to-Jet gehört, einen Wettbewerb mit den FT-Verfahren liefern, und es ist keineswegs sicher, wer ihn gewinnen wird.

Die isländische Firma Carbon Recycling International betreibt seit 2012 eine Demoanlage für die Gewinnung von Methanol aus Synthesegas und hat kürzlich in China zwei Anlagen mit einer Kapazität von jeweils 110.000 t pro Jahr fertiggestellt, von denen die erste bereits produziert. Das Synthesegas wird in diesem Falle nicht auf dem PtL-Weg hergestellt, aber das technische Prinzip ist das gleiche. Carbon Recycling International plant laut eigener Aussage auch eine größere PtL-Anlage in Europa, deren Finanzierung aber noch nicht gesichert ist.

Der zweite Schritt des Verfahrens, die Weiterverarbeitung des Methanols zu Kerosin, muss in der Tat noch zugelassen werden. Diese Zulassung durch ASTM wird gegenwärtig von einer Arbeitsgruppe betrieben, die von ExxonMobil geleitet wird und der weitere namhafte Unternehmen angehören. Meine persönliche Einschätzung ist, dass es maximal zwei, drei Jahre dauern wird, bis diese Route zugelassen sein wird.

 

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