Anlagenbau & Prozesstechnik

Digitalisierte Produktion und wirtschaftlicher Nutzen

PA zeigt Wege zur Steigerung der Effektivität und Effizienz der Produktion

18.03.2020 - Wie wird aus der Transformation der Prozessindustrie in Richtung Industrie 4.0 wirtschaftlicher Nutzen generiert? Diese Frage steht im Mittelpunkt des CHEManager-Interview mit Christian Debus, der seit 2018 als President PA Global die Gesamtleitung der Process Automation Solutions (PA) verantwortet. Die Fragen stellte Volker Oestreich.

CHEManager: Herr Debus, die Digitalisierung soll den Anlagenbetreibern der Prozessindustrie neue Möglichkeiten eröffnen – Big Data, Edge und Cloud, Konnektivität, die NAMUR Open Architecture (NOA), künstliche Intelligenz (KI)) oder der digitale Zwilling sind nur einige der Themen, mit denen sich Verantwortliche auseinandersetzen müssen. Sind dies Buzzwords, Zukunftsvisionen oder greifbare Realität?
Christian Debus: In meiner Wahrnehmung ist jedes der von Ihnen genannten Themen für sich genommen Realität. Was fehlt ist das produktive Zusammenspiel, um daraus echten Kundennutzen zu erzeugen. Das funktioniert noch am ehesten bei Greenfield-Ansätzen, doch selbst dort sind die besten Lösungen nicht immer ohne weiteres kombinierbar.
Ich beobachte momentan drei Cluster im Markt: Zum einen die Maschinenbauer und Systemhersteller, die sich mit Digitalisierung inklusive aller von Ihnen genannten Themen beschäftigen und am Ende das Ziel verfolgen, mehr Hardware zu verkaufen, denn das ist ihr Kerngeschäft. Dann gibt es die Anbieter von public und private Clouds mit spezifischen Funktionalitäten für das Produktionsumfeld, die im Wesentlichen Subscriptions für ihre Clouds verkaufen wollen. Zu guter Letzt gibt es die Anlagenbetreiber. Diese wollen sich nicht abhängig machen von einem Hardware- oder Software-Anbieter, investieren Milliarden in ihre Produktionsanlagen weltweit, die sie teilweise noch über Jahrzehnte abschreiben, sind sehr weit entfernt von jeglicher Form von Cloud-Anbindung und sehen noch nicht genau, welchen wirtschaftlichen Nutzen sie überhaupt aus der digitalisierten Produktion ziehen können.
 

NOA eröffnet auf Basis der klassischen Automatisierungspyramide die sichere Extraktion von Informationen aus dem Prozess – die Nutzung des technologischen Fortschrittes soll den kontinuierlichen Verbesserungsprozess unterstützen. Aber neben der technischen Sicht gibt es auch die ökonomische Sicht: Wo liegt konkret der wirtschaftliche Nutzen?
C. Debus:  Ja, das fragen sich viele Kunden auch, zumal die Umsetzungskosten hoch sind, weil in der Regel proprietäre Systeme miteinander kombiniert und kommunikationsfähig gemacht werden müssen. Dabei genügt es nicht, IT-Schnittstellen zu programmieren. Datenmodelle und -architekturen müssen harmonisiert werden, um wirklichen Nutzen aus der informationellen Integration der Automatisierungspyramide erzielen zu können.

Wenn das allerdings gelingt, liegt am Ende der wirtschaftliche Nutzen aus meiner Sicht in der Steigerung der Effektivität und Effizienz der Produktion. Eben nochmal eine Stufe weiter als es die Automatisierung ermöglicht hat: Wenn Sie Produktionsanlagen so integrieren, dass sie kontinuierlich Daten aus dem Produktionsprozess erheben und auf Basis dieser Daten dann mit Hilfe von KI-Algorithmen automatische Steuer­eingriffe abgeleitet werden können, so dass laufend auf definierte KPI hin optimiert wird, dann kann mit Hilfe der Digitalisierung eine kontinuierliche Reduzierung von Qualitätsschwankungen in sich verändernden Umfeldbedingungen gelingen, Material- und Energieverbräuche können signifikant reduziert und die Prozesssicherheit so wie auch die Anlagenverfügbarkeit gesteigert werden.
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen weltweiten Fertigungsverbund so integriert, dass Kundenbedarfe automatisch mit verfügbaren Kapazitäten, Rüstzeiten und Logistikkosten abgeglichen werden und Sie dadurch die Auslastung Ihrer bestehenden Anlagen so optimieren können, dass Sie sich eine Neuinvestition sparen können – dann haben Sie einen sehr konkreten wirtschaftlichen Nutzen aus der Digitalisierung der bestehenden Anlagen.

Mehr Information bedeutet irgendwie auch zunehmende Komplexität – genau das wollen aber die produzierenden Betriebe in der Prozess­technik eigentlich nicht.
C. Debus:  Ich denke, der Schlüssel liegt in der Reduzierung der wahrgenommenen Komplexität. Wenn Sie heute in Ihrem Auto eine Temperatur einstellen, dann liegen dahinter verschiedenste Sensoren und Systeme, die diese Temperatur unabhängig davon, wo sich das Auto gerade befindet, kontinuierlich auf den Zielwert regeln. Ich als Autofahrer muss nicht unbedingt verstehen, wie die Systeme das genau machen. In 10 Jahren wird es beim autonomen Fahren genauso sein. Auch hier muss der Autofahrer nicht die Systeme und ihre Funktionsweise kennen, die das Auto autonom fahren lassen. Er muss nur eingreifen können, wenn etwas nicht funktioniert. Meine Vision ist es, eine solche Situation für den Produktionsverantwortlichen herzustellen – die sich kontinuierlich selbst optimierende Produktion. Um die im Hintergrund laufenden Prozesse und Systeme kümmern wir uns dann.
 

Können digitale Zwillinge oder KI letztendlich die Prozesse vereinfachen und wie hoch sind die Hürden, diese Technologien sinnvoll zu nutzen?
C. Debus:  In meinen Augen haben diese Technologien, insbesondere KI, gar nicht primär das Ziel, Prozesse zu vereinfachen. Sie sollen vielmehr dabei unterstützen, ganzheitlich zu optimieren und damit Situationen zu vermeiden, in denen viele lokale Optimierungen gemacht werden, man aber global suboptimal unterwegs ist, siehe mein Beispiel vorher zur Kapazitätsauslastung.
Die große Hürde, diese Technologien wirksam werden zu lassen, ist die existierende Produktionslandschaft. Nach der anfänglichen Euphorie zur Digitalisierung der Produktion macht sich ganz offensichtlich mittlerweile Ernüchterung breit, weil die großen Effizienzpotenziale doch nicht realisiert werden. Der Nutzen der Digitalisierung kommt dann zum Tragen, wenn sie die Daten aus verschiedensten Anlagen und Prozessen integriert. Das scheitert aber in der Regel an den vielen verschiedenen Hardware- und Softwarelösungen innerhalb eines Werks oder Produktionsverbundes, die alle jeweils proprietäre Standards haben und sich eben nicht so einfach integrieren lassen.
Hochentwickelte Cloud-Lösungen und KI-Algorithmen alleine sind nicht die Lösung, sie müssen mit der Anlage, dem physischen Herstellungsprozess verbunden werden, denn dort findet die echte Wertschöpfung statt. Und da hat man es eben oft mit Bestandssystemen zu tun, die nicht zusammenpassen.

Wie lassen sich Cloud-Technologien in der Prozesstechnik einsetzen, welche Vorteile ergeben sich daraus und ist die Prozessindustrie überhaupt schon bereit dafür?
C. Debus: Zunächst glaube ich, dass die Prozessindustrie mit dem Einsatz von Cloud-Technologien bereits sehr weit ist. In vielen Unternehmen werden Data-Historian-Systeme genutzt, die für verschiedenste Anwendungen eine solide Datenbasis liefern.
Durch das Zusammenführen der Daten in einer Cloud lassen sich zum Beispiel anlagen- und standortübergreifend Performanceparameter sichtbar machen und vergleichen oder Rezepturen verwalten. Entscheidend ist das Zusammenführen der Daten in einer Cloud, was die Grundlage für Analytics bildet. Damit lassen sich nicht nur Zustände übergreifend anzeigen, sondern aktiv und automatisch steuern.

In dem Moment, in dem es um automatische Prozesssteuerung geht, wird direkt das Thema Sicherheit relevant. Deshalb wird eine aktive Prozessteuerung und -optimierung zunächst bei nicht-sicherheitskritischen Prozessen zum Einsatz kommen. Darüber hinaus wird die KI sicher zunächst Vorschläge zur Optimierung machen, die dann manuell bestätigt oder angepasst werden können. Somit werden sich im Laufe der Zeit einerseits die Akzeptanz und andererseits die Leistungsfähigkeit der KI zur Prozesssteuerung verbessern.

Durchgängige und übergreifende Konnektivität und Vernetzung birgt viele Chancen, aber auch Risiken: Die Herausforderungen der Cyber-Security sind komplex. Wie ist dem beizukommen?
C. Debus: Ja, das ist in der Tat ein großes, leider auch sehr aktuelles Thema. Ich persönlich denke, dass die Komplexität dieser Herausforderung von einzelnen Unternehmen kaum zu bewältigen ist. Die großen Public Cloud-Anbieter sind hier in einer besseren Position. Bei ihrem Geschäftsvolumen können sie viel mehr in die Sicherheit der von ihnen verwalteten Daten investieren als kleinere Private Cloud-Anbieter bzw. Unternehmen, die ihre IT-In­frastruktur selbst betreiben.
Andererseits müssen viele Unternehmen sicherstellen, dass beim Ausfall von WAN-Verbindungen oder bei regional limitierter Performance von WAN-Anbindungen der operative Betrieb nicht beeinträchtigt werden darf.
Insofern gehe ich davon aus, dass sich ein hybrider Ansatz, also ein intelligenter Mix von lokaler Infrastruktur und Cloud-Services namhafter Anbieter, durchsetzen wird. Die Orchestrierung dieser Services für Unternehmen, auch hinsichtlich Cyber Security, wird durch entsprechend qualifizierte Dienstleister wahrgenommen werden, da die großen Cloud-Anbieter selbst sich ausschließlich für die Bereitstellung performanter und sicherer Cloud-Infrastruktur weltweit positionieren.

Wie genau kann PA Solutions die Prozessautomatisierer bei den Herausforderungen auf dem Weg zur Industrie 4.0 und den damit verbundenen Herausforderungen und Chancen unterstützen?
C. Debus: PA Solutions ist genau zwischen der physischen Produktionswelt und der Cloud positioniert. Wir haben eine über 30-jährige Historie als herstellerunabhängiger Integrator über alle Ebenen der Automatisierungspyramide, speziell in bestehenden Produktionsumgebungen. Unsere Kompetenz liegt darin, verschiedene Standards bei Maschinen und Anlagen sowie verschiedene vorhandene Softwarelösungen mit Cloud-Technologien zusammen zu führen, damit der Kunde am Ende seine Produktion günstiger und sicherer betreiben kann und die Qualität seiner Produkte und Prozesse sich kontinuierlich verbessert. Ziel ist es also, eine bestehende Produktion in eine sich selbst optimierende Fabrik zu entwickeln. Wir nutzen dabei auch nach Möglichkeit auf der Analytics- und KI-Seite vorhandene Lösungen und bringen das zusammen, was für den einzelnen Kunden in seiner spezifischen Situation den größten Nutzen bietet. Da wir hierin jahrelange Erfahrung haben, müssen wir nicht jedes Mal neu beginnen, sondern verfügen über eine Vielzahl skalierbarer Integrationslösungen und Schnittstellen, also eine Art offene Digitalisierungsplattform für Brownfield Environments. Um konkret am Beispiel von umgesetzten Use Cases aufzuzeigen, wie Digitalisierung zu realem, messbarem Kundennutzen führt, veranstalten wir im Sommer 2020 einen Data Analytics-Day für die Prozessindustrie. Ich freue mich schon jetzt auf den Austausch.

Christian Debus übernahm 2018 als President PA Global die Gesamtleitungsfunktion der Process Automation Solutions (PA). Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler war zuvor weltweit verantwortlich für Camfil Air Pollution Control und Recaro Car Seating.
PA ist einer der führenden herstellerunabhängigen Anbieter von kompletten Automatisierungslösungen für die Prozess-, Fertigungs- und Automobilindus­trie. Seit 2014 ist das Unternehmen, das 1986 als Lang & Peitler gegründet wurde, Teil der kanadischen ATS Automa­tion Tooling Systems.

 

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