Strategie & Management

CHEMonitor 2/2017 – Wachstum und Strukturwandel

Deutsche Chemiemanager sehen Digitalisierung und Nachhaltigkeit als Wachstumstreiber / Zweifel am Nutzen von M&A

16.11.2017 -

Die deutsche Chemieindustrie ist auf Wachstumskurs: Im dritten Quartal 2017 lag die Chemieproduktion nach Angaben des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) rund 3 % über dem Vorjahr, der Umsatz wuchs um über 6 %. Was sind aktuelle und künftige Treiber dieses Wachstums? Damit befasst sich das Trendbarometer CHEMonitor vom Oktober 2017.

„2017 kann ein gutes Jahr für die chemische Industrie in Deutschland werden. Das ist aber keine Garantie für die Zeit danach“, sagte VCI-Präsident Dr. Kurt Bock anlässlich der Veröffentlichung des Quartalsberichts Anfang November und bringt damit die Verunsicherung der Branche trotz positiver konjunktureller Entwicklung auf den Punkt. Diese spiegelt sich auch in den Ergebnissen der CHEMonitor-Befragung wider: Zwar gehen 79 % der befragten Chemiemanager davon aus, dass ihr Unternehmen in den kommenden fünf Jahren in der Region Europa wachsen wird; nur 21 % rechnen mit einer Stagnation. Doch gleichzeitig bewerten mit 68 % (Grafik 1) deutlich weniger Manager den Standort Deutschland mit „gut“ oder „sehr gut“ als im Oktober 2016 (90 %).

„Der deutliche Rückgang der Standortzufriedenheit ist eine Reaktion auf den in Deutschland offensichtlichen Nachholbedarf in der Digitalisierung sowie auf die zunehmenden Engpässe in der Logistik und Verkehrsinfrastruktur. Angesichts der positiven Wachstumsperspektiven in Europa wird sich diese Unzufriedenheit verstärken“, kommentiert Dr. Josef Packowski, Managing Partner bei Camelot die Ergebnisse der aktuellen CHEMonitor-Befragung. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken fordert der VCI von der künftigen Bundesregierung einen verlässlichen industriepolitischen Kurs für Wachstum. Doch was sind die Voraussetzungen für Wachstum und eine erfolgreiche Zukunft der deutschen Chemie? Diese Frage griff das 29. CHEMonitor-Trendbarometer mit dem Schwerpunkthema Wachstum und Strukturwandel auf. Für das Trendbarometer von CHEManager und der Strategie- und Organisationsberatung Camelot Management Consultants wurden die Mitglieder des CHEMonitor-Panels vom 11. September bis 20. Oktober 2017 befragt.



Wachstum durch neue Produkte

Als wesentlichen Faktor für organisches Wachstum ihres Unternehmens in den kommenden fünf Jahren nennt die Hälfte der Chemiemanager „neue Produkte“ (50 %). Es folgen „neue, integrierte Kundenlösungen und Serviceleistungen“ und „verbesserte Prozesse durch Digitalisierung und Automatisierung“ mit 34 % bzw. 28 % der Nennungen (Grafik 2). „Neue digitale Geschäftsmodelle“ spielen dagegen mit 20 % der Nennungen eine untergeordnete Rolle. „Digitalisierung und Automatisierung sind als bedeutende Wettbewerbsfaktoren in der Chemie­in­dustrie erkannt, aber oftmals noch nicht umgesetzt. In vielen Fällen geht die Realisierung nicht über punktuelle Leuchtturmprojekte hinaus“, sagt Dr. Sven Mandewirth, Partner und Chemieexperte bei Camelot.

M&A sind kein Garant für Wachstum

Zwiegespalten zeigen sich deutsche Chemiemanager in Bezug auf die wachstumsfördernde Wirkung der derzeit zahlreich zu beobachtenden Fusionen und Übernahmen (Mergers and Acquisitions, M&A) in der Chemiebranche (Grafik 3). Während 60 % der Befragten meinen, dass M&A-Maßnahmen eine nachhaltige Verbesserung der Wettbewerbspositionen bewirken und zu mehr Wachstum führen, denken fast ebenso viele (65 %), dass bei den Transaktionen zunehmend kurzfristige Finanzerfolge und nicht nachhaltige Wachstumsstrategien im Vordergrund stehen. Uneinigkeit über die richtige Wachstumsstrategie und den Erfolg einer Fusion herrschte auch zwischen Management und Investoren von Clariant. Dies führte im Oktober zum Scheitern der geplanten Fusion mit dem US-Unternehmen Huntsman (vgl. Seite 3).
Einig sind die Chemiemanager jedoch über die wachstumshemmende Rolle unterschiedlicher Unternehmenskulturen: So sind 90 % der Befragten der Meinung, dass unterschiedliche Unternehmenskulturen häufig geplante Effekte und damit auch das geplante Wachstum durch M&A-Transaktionen verhindern.

Veraltete IT und lange Entscheidungswege größte interne Wachstumshürden

Befragt nach unternehmensinternen Wachstumshürden  messen Chemiemanager aus großen Konzernen und Mittelstand einer „veralteten IT-Systemlandschaft“ gleichermaßen die stärkste wachstumsbremsende Wirkung zu. Gleichbedeutend mit einem Anteil von 38 % ist eine „schwerfällige Unternehmensorganisation mit langen Entscheidungswegen“, die in großen Unternehmen mit 63 % der Nennungen noch deutlich die veraltete IT überwiegt (Grafik 4). Auf Platz drei der größten Wachstumsbremsen folgen „limitierte Produktionskapazitäten“ und „fehlende Investitionsmittel“ (je 25 %). Ein Vergleich mit der CHEMonitor-Befragung aus dem Jahr 2011 zeigt, dass die Wachstumshürden schwerfällige Unternehmensorganisation (+13 Prozentpunkte), mangelnde Kundenorientierung (+6) und mangelnde Qualifikation der Mitarbeiter (+5) an Bedeutung gewonnen haben.

Hohe Energiepreise und Fachkräftemangel bremsen Chemiewachstum

Energiepreise sind ein wesentlicher Standortfaktor für die deutsche Chemieindustrie. Das belegen zahlreiche politische Diskussion (vgl. Interview „Strompreis contra Klimaschutz“ CHEManager 15/2017) sowie über viele Jahre hinweg die Ergebnisse der CHEMonitor-Befragungen. In der aktuellen Umfrage bewertet erneut die Hälfte der Manager den Standortfaktor Energiekosten als „schlecht“. Zudem sehen 65 % der Befragten „steigende Energie- und Rohstoffkosten“ als größte externe Wachstumshürde für die deutsche Chemie (Grafik 5). Es folgen „der Mangel an qualifiziertem Personal“ (57 %) und „regulatorische Auflagen der EU“ (54 %). Diese drei Faktoren wurden bereits 2011 vom CHEMonitor-Panel als die größten Wachstumshürden der Chemie wahrgenommen.



Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind Wachstumstreiber der Chemie

Global betrachtet haben sich die Zentren des Wachstums für die chemische Industrie in die aufstrebenden Schwellenländer und in Regionen mit reichen Rohstoffvorkommen und niedrigen Energiekosten verschoben, insbesondere nach China oder in die USA. Dies verschärft den Wettbewerb für Chemieunternehmen in Deutschland. „Auf diese Herausforderung haben die Unternehmen mit Globalisierung, Spezialisierung und Fokussierung auf das Kerngeschäft reagiert. Die Erfolge der Vergangenheit sind jedoch kein Garant für eine erfolgreiche Zukunft“, sagte VCI-Präsident Bock anlässlich der Veröffentlichung der VCI-Studie „Chemie 4.0“ im September. Nach deren Ergebnissen steht die Branche aktuell vor einer vierten Industrierevolution, bei der die Themen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und zirkuläre Wirtschaft eine Schlüsselrolle spielen werden. Dies spiegelt auch die Meinung des CHEMonitor-Panels wider. Bei der aktuellen Befragung sagten 76 % der Manager die Digitalisierung sei „sehr wichtig“ für das Wachstum und die Wettbewerbsfähig sowohl des eigenen Unternehmens als auch der gesamten Chemieindustrie (Grafik 6). Ein vergleichbar bedeutender Wachstumstreiber für Unternehmen (68 %) und Branche (78 %) ist das Thema Nachhaltigkeit. Geringere Bedeutung messen die Umfrageteilnehmer dagegen der Kreislaufwirtschaft bei. Ein Grund hierfür könnte in dem unterschiedlichen Verständnis der Begriffe Kreislaufwirtschaft, Recycling und zirkuläre Wirtschaft liegen.
 

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