Strategie & Management

„Digitalisierung ist eine Frage des Mindsets”

Beim Pharmaunternehmen Daiichi Sankyo steht Lernen am Anfang der Evolution

15.11.2023 - „Digitalisierung ist eine Frage des Mindsets“, sagt Patrick Markt-Niederreither, Vice President Digital Excellence bei Daiichi Sankyo, im Rahmen der CHEManager-Interviewserie über die Digitalisierungsstrategien namhafter Chemie- und Pharmaunternehmen.

Wer A sagt muss bekanntlich auch B sagen. Aber dazu müssen alle Beteiligten auch wissen, was dies konkret bedeutet. So einfach kann man die Digitalisierungsstrategie des Pharmaunternehmens Daiichi Sankyo zusammenfassen. Im Rahmen der CHEManager-Serie über die Digitalisierungsstrategien namhafter Chemie- und Pharmaunternehmen erklärt Patrick Markt-Niederreither, Vice President Digital Excellence, im Interview mit Stefan Gürtzgen, was das für die Zukunft der Branche heißt und warum sich niemand vor Veränderungen fürchten sollte. 

CHEManager: Herr Markt-Niederreiter, Digitalisierung ist ein weites Feld. Wie würden Sie das Thema bei Daiichi Sankyo beschreiben?

Patrick Markt-Niederreiter: Ganz kurz gesagt: Digitalisierung bedeutet, Daten, Werkzeuge und Software zu verwenden, um bessere Ergebnisse für Patienten oder Ärzte zu erzielen, weil wir im Gesundheitsbereich tätig sind.

Können Sie das konkretisieren?

P. Markt-Niederreiter: In der Gesundheitsbranche ist unser oberstes Ziel, positiv zum Gesundheitsstatus von Patienten beizutragen. Mit Medikamenten haben wir das schon immer getan, die Digitalisierung eröffnet uns neue Möglichkeiten. Etwa durch digitale Mehrwertlösungen ein besseres Verständnis von Ärzteerfordernissen und Patientenverhalten zu erlangen und dadurch deren Bedürfnisse besser zu erfüllen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass wir Informationen zur Verfügung stellen, die genau in diesem Moment benötigt werden, um die bestmögliche Diagnose zu treffen oder die passende Medikation zu verschreiben.

Nun ist die Pharmaindustrie klassischerweise eine Forschungs- und Fertigungsindustrie. Inwieweit sind Informationen da ein relevantes Spielfeld? Ist das überhaupt ein Bereich, in dem Sie aktiv beteiligt sein wollen und können?

P. Markt-Niederreiter: Gesundheit ist ja nicht digital, also eins oder null, sondern es gibt ganz viele Aspekte. Dazu gehören auch Informationen: Wie bleibe ich gesund, bevor ich überhaupt krank werde? Was muss ich als Patient wissen? Wie kann ich selbst dazu beitragen, dass es mir besser geht? Und da spielen digitale Lösungen oder digitale Fußabdrücke von Ärzten und Patienten eine große Rolle. Weil sie mir helfen, zu verstehen, welche Informationen werden denn gesucht und gefunden – oder auch nicht? Und für diese Informationen ist die Pharmaindustrie genau der richtige Ansprechpartner. 

Es geht also im Prinzip um zwei Geschäftsfelder: die klassische Produktion von Medikamenten und ein komplett neues Geschäftsfeld, das sich mit dem gesamten Umfeld beschäftigt. Welche Rolle wollen Sie in dem zweiten Bereich einnehmen? 

P. Markt-Niederreiter: Wir wollen es Ärzten und Patienten so einfach wie möglich machen, eine Entscheidung zu treffen beziehungsweise mit bestimmten Krankheiten umzugehen. Dazu dient im Prinzip dieselbe Logik wie in anderen Industrien: Kunden, denen eine bestimmte Empfehlung geholfen hat – also etwa für ein Buch, einen Song oder einen Film -, vertrauen eher weiteren Empfehlungen. Oder in unserem Fall: Ärzte, die diese Studie hilfreich fanden, lesen auch jene Studie. Dadurch bekommen sie mit weniger Aufwand qualitativ relevantere und nützlichere Informationen. Und dafür brauchen wir die Digitalisierung, neue Fähigkeiten, neue Arten von Mitarbeitenden, neue Prozesse und auch neue Tools. 

„Digitalisierung bedeutet, Daten, Werkzeuge und Software zu verwenden, um bessere Ergebnisse für Patienten oder Ärzte zu erzielen.“



Widerspricht diese Analyse nicht dem Wunsch nach Diskretion, gerade im medizinischen Umfeld? 

P. Markt-Niederreiter: Wichtig ist hier, dass wir mit verlässlichen Partnern zusammenarbeiten, die bestimmte Dienstleistungen zur Verfügung stellen, um Daten zu sammeln. Diese Informationen werden dann anonymisiert und durch den Partner aggregiert. Wir wollen lediglich durch Datenanalyse verstehen, ob der gewünschte Mehrwert sich auch im Verhalten widerspiegelt. Also beispielsweise ob Ärzte auch hauptsächlich wissenschaftliche Artikel lesen, die ihnen vorgeschlagen werden. Das hat für unsere Zielgruppen den Vorteil, dass wir Lösungen unabhängig von unseren Medikamenten entwickeln können, also weit über unsere ursprüngliche Zielgruppe hinaus gehen.

Welche Rolle spielt dabei künstliche Intelligenz?

P. Markt-Niederreiter: Das Thema künstliche Intelligenz ist momentan getrieben durch einen wahnsinnigen Hype. Ich denke, die Gefahr, dass wir uns hier in eine Abhängigkeit begeben und unser Wohl in die Hände von undurchsichtigen Algorithmen legen, ist existent, aber handhabbar. Es gibt durchaus Anwendungsfälle, die relativ einfach umzusetzen sind. Etwa, ChatGPT als meinen internen Assistenten zu nutzen, um Informationen zu finden: Wie viel Urlaubstage habe ich noch? Wo kann ich meine Kreditkarte beantragen? Wie ist denn die Marktentwicklung in Deutschland gegenüber Spanien? Was sind Trends, die wir beobachten? Das basiert alles auf internen Daten, die geprüft und, verifiziert sind, mit einem handhabbaren Risiko, dass ich gegen den Datenschutz oder andere Regularien verstoße. Die Frage ist aber immer: Was möchte ich erreichen und was sind im Rahmen der am Markt verfügbaren Lösungen hierfür die richtigen Tools und Techniken? 

Aus meiner Sicht ist es daher nicht wichtig, der Erste zu sein, der generative KI nutzt. Ich glaube, diejenigen Firmen werden im Vorteil sein, die in den kommenden 18 bis 36 Monaten für sich den Umgang mit generativer KI wirklich gut strategisch beleuchtet und relevante Anwendungsfelder identifiziert und definiert haben. Möglicherweise funktioniert dann erst der zweite oder dritte Use Case, aber dank der Klarheit „verliere“ ich später weniger Zeit und erhöhe meine Wahrscheinlichkeit, ein Produkt tatsächlich in die Anwendung zu bringen.


Möglicherweise stehen bald erste Medikamente zur Verfügung, die fast ausschließlich durch künstliche Intelligenz entdeckt und entwickelt wurden – also genau der Bereich, der Ihr Kerngeschäft darstellt. Heißt das, viele Ihrer Kollegen sind in fünf Jahren möglicherweise gar nicht mehr nötig?

P. Markt-Niederreiter: Der Einsatz von KI macht diese Menschen nicht obsolet. Es erlaubt uns, uns auf andere Dinge zu fokussieren. Als Forscher muss ich dann beispielsweise nicht mehr das Molekül finden, das die bestmögliche Wirkung entfaltet, um eine bestimmte Krankheit zu bekämpfen, sondern ich kann mich auf die Frage konzentrieren, was sind denn die Indikationsfelder, die noch untertherapiert sind? 
Das ist eine andere Art der Wissensnutzung, die aber mindestens genauso wichtig ist und Patienten in der Zukunft hilft. Aber ich brauche erstmal ein Verständnis dafür, wie wird bislang therapiert, was sind die verschiedenen Wirkmechanismen, gibt es da schon eine Standardtherapie? Das bedeutet, viele der Kollegen werden weiter gebraucht. Eventuell nicht in ihrem bisherigen Arbeitsbereich, aber ständiges Lernen und sich weiterzuentwickeln gehört zu unserer Wissensgesellschaft ohnehin dazu. 

Das heißt, Digitalisierung hat erst einmal nichts mit Technik oder Daten zu tun, sondern in erster Linie mit Mindset?

P. Markt-Niederreiter: Absolut. Wenn wir etwas Neues schaffen wollen, könnten wir einfach die Person einstellen, die die richtigen Kompetenzen besitzt. Dann bleibt der gewünschte Wandel aber oft aus. Warum? Weil eine Person in einem Team, das sehr lange Dinge in einer bestimmten Art und Weise getan hat, wenig bewirken kann. Das heißt, mit einem neuen Experten oder einer Expertin besteht das Risiko, dass ich bestehende Mitarbeiter demotiviere, weil ich ihnen indirekt sage, ihr wisst nicht, wie man das macht. Oder aber wir gehen diese Reise gemeinsam. Wo helfen uns neue Kollegen mit ihrem Fachwissen? Was können bestehende Kollegen lernen? Welches Mindset und welche Fähigkeiten benötigen alle Beteiligten, um letzten Endes die Ziele zu erreichen?


Zäumt man da nicht das Pferd von hinten auf? Also Teams zu befähigen, eine Lösung zu finden, bevor klar ist, wie die Lösung überhaupt aussehen soll?

P. Markt-Niederreiter: Wenn man die Lösung auf dem Reißbrett konstruieren könnte, wäre das natürlich ideal. Tatsächlich muss man aber eine Brücke schlagen, ausgehend von der Arbeitsweise, die bisher bestanden hat, hin zu der neuen. Dieser Prozess dauert drei bis fünf Jahre, das habe ich bei uns beobachtet und auch in vielen anderen Firmen. Im dritten Jahr stellen sich dann erste Erfolge ein, weil die Leute verstanden haben, was bedeutet es für mich, vom Kundenbedürfnis her zu denken? Was ist das Kundenbedürfnis? Wie kann ich die gesamte Mitarbeiterschaft auf ein gemeinsames Ziel ausrichten? Was bedeutet agiles Arbeiten? Wichtig ist hierbei, dass Führungskräfte ihren Teams die Sicherheit und die Zeit geben, neue Denkansätze und damit verbundene Arbeitsweisen zu verinnerlichen, und nicht sagen: Ihr hattet jetzt ein agiles Training, wir haben zwei Omnichannel-Manager angestellt, in sechs Monaten steht bitte die Omnichannel-Kampagne. Das ist, glaube ich, der Anfang vom Ende. 

Gibt es denn überhaupt einen Anfang und ein Ende beim Thema Digitalisierung?

P. Markt-Niederreiter: Meiner Meinung nach nicht. Digitalisierung hat ja verschiedenste Bereiche erfasst, auch im Gesundheitsbereich: von der Produktion über klinische Studien bis hin zu: welche Inhalte stellen wir zur Verfügung? Wenn man diesen ständigen Wandel und die Möglichkeiten als Chance begreift, hat man ein Spielfeld, auf dem man sich ganz klar differenzieren kann. Dabei gibt es nicht unbedingt ein Richtig oder Falsch. Wir sind in einem Zeitalter angekommen, in dem ständig experimentiert wird, was funktioniert für wen. Und das ist eine völlig andere Art des Arbeitens, ohne Angst vor Fehlern, sondern mit Spaß am Ausprobieren und dem besten Ergebnis am Ende.

Zur Person

Patrick Markt-Niederreiter ist ein strategischer Profi mit einer Leidenschaft für Kundenerfahrung, digitale Innovation und agile Transformation. Im Laufe seiner Karriere hat er verschiedene strategische Initiativen geleitet, um die Kundenbindung zu erhöhen und die Unternehmensleistung zu verbessern. Derzeit ist er Vice President of Digital Excellence bei Daiichi Sankyo Europe und engagiert sich für nahtlose und benutzerfreundliche End-to-End-Kundenerlebnisse für Ärzte und Patienten. Markt-Niederreiter studierte Biologie an der Technischen Universität München und promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität. Vor seinem Einstige bei Daiichi Sankyo war er vier Jahre für Celgene und ein Jahr bei der Life-Science-Beratung Novumed tätig.

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